kulturpunkt

Stadt im Aufbruch

BAUSTEINE FÜR EINE LEBENSWERTE STADT

Symposium 10. und 11. Dezember 1993

Rathaus Bern

SYMPOSIUM-PLAKAT

Basler Zeitung Montag, 13. Dezember 1993, Nr. 291, S.6

Städte für Menschen statt für Autos planen

Die Städte in der Schweiz sind noch nicht zu gross, um sozial und ökologisch umgebaut zu werden. Die wirtschaftsorientierten Wachstumskonzepte haben ausgedient. Kreative Ideen für mehr Lebensqualität sind gefragt. Zu diesem Schluss kamen rund 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines nationalen Symposiums in Bern, veranstaltet vom Ökozentrum Bern.

Von Heinz Däpp

Bern. Während zweier Tage referierten und diskutierten in Bern am Freitag und Samstag Fachleute aus den Bereichen Politik Planung und Ökologie über die künftige Entwicklung der Städte. Einig waren sie sich darin, dass es höchste Zeit ist, die Entwicklungskonzepte der siebziger und achtziger Jahre fallenzulassen und neue Lösungsansätze zu entwickeln, damit die Städte wieder attraktiver werden.

Die Entwicklung der Städte in der Schweiz habe zu zwei grossen Problemen geführt, sagte Claude Haltmeyer, der Leiter des Ökozentrums Bern. Erstens habe sich der urbane Lebensstil weit übers ganze Land verbreitet. Der begrenzte Raum sei beispiellos und irreversibel zersiedelt. Zweitens befänden sich die vergleichsweise kleinen Schweizer Städte bevölkerungsmässig, aber auch wirtschaftlich in einer Krise. Gross sei die Gefahr, in Provinzialität und kulturelle Bedeutungslosigkeit zu verfallen. Deshalb sei der ökologische Umbau unserer Städte eine zentrale Forderung der Fachleute. Die grösseren Schweizer Städte, meinte Claude Haltmeyer, hätten gute Chancen dazu. Denn die ökologische Stadt von morgen sei keine Millionenstadt, sondern eine mittelgrosse Stadt mit überschaubaren Verhältnissen. Der soziale und umweltverträgliche Stadtumbau in der Schweiz könne vielleicht sogar zum Vorbild werden für die Problemstädte in den Nachbarstaaten. Vorerst aber müssten nun die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung die Zeichen der Zeit erkennen und Ideen für mehr Attraktivität und Lebensqualität entwickeln. Die meisten Massnahmen in dieser Richtung seien kleine Rückeroberungen, die sehr viel billiger seien als die Investitionen für ein forciertes und kurzfristiges Wirtschaftswachstum.

Verrückter Zwang zur Mobilität

Das grösste Problem für die Stadt Bern zum Beispiel sei der motorisierte Individualverkehr, erklärte die grüne Stadtberner Finanzdirektorin Therese Frösch. Er zerschneide Quartiere und Naherholungsgebiete, belaste die Bevölkerung mit Lärm und Abgasen, bedrohe sie an Leib und Leben. Das Auto isoliere die Menschen voneinander, behindere eine gesunde Entwicklung der Kinder, fördere Aggression und Intoleranz. Es sei für das soziale Zusammenleben in der Stadt zu einer beinahe untragbaren Belastung geworden.

Eine wichtige Ursache der Verkehrsflut sei die erzwungene Mobilität, welche die Siedlungsentwicklung der letzten Jahrzehnte mit sich gebracht habe: Wer es sich leisten könne, wohne im Grünen, arbeite aber nach wie vor in der Stadt und nütze auch deren kulturelle Angebote. Wenn die Stadt nicht völlig im Autoverkehr untergehen wolle, müsse sie den öffentlichen Verkehr ausbauen und massiv subventionieren. Damit werde das Auto nicht nur zum ökologischen, sondern auch zum ökonomischen Problem: Mit der Stadtflucht leere sich auch die Stadtkasse. Als Finanzdirektorin stelle sie sich die Frage, meinte Therese Frösch, ob die Stadt überhaupt ein Interesse habe an einem gut ausgebauten privaten und auch öffentlichen Verkehrsangebot zur Region.

Die Stadt sei der ideale Ort, um Mobilität zu ökologisieren, sagte der Basler Journalist und Ökologe Daniel Wiener. Weniger Energie weniger Zeit und weniger Raum werden hier beansprucht, um den Zweck der Mobilität zu erfüllen, um zum Beispiel an den Arbeitsplatz zu gelangen. Dieser umweltverträglichen Mobilität stehe das Auto im Weg: Es verhindere dass die Menschen ohne Angst um Leib und Gesundheit velofahren oder zu Fuss gehen, dass die Kinder gefahrlos vor der Haustür spielen könnten. Die Autos und teils auch der öffentliche Verkehr behinderten also die Mobilität in ihrem Kern, anstatt sie zu fördern. Angel und Drehpunkt einer ökologischen Stadtentwicklung sei somit ein neuer Mobilitätsbegriff Es müsse erkannt werden dass der motorisierte Individualverkehr der grösste Feind der Mobilität sei, vor allem in der Stadt. Ökologische Stadtentwicklung heisse deshalb vorab Rückeroberung des Raums, den heute das Auto einnehme

Wohn- und Arbeitsplatz fusionieren

Der Berner SP Nationalrat Rudolf H. Strahm, Präsident des Schweizerischen Mieterinnen und Mieterverbandes, empfahl den Städten, sich planerisch darauf einzustellen, dass Wohn- und Arbeitsplätze wieder vermehrt fusioniert und vermischt werden. Der Anteil der Einpersonen und Kleinstfirmen werde zunehmen, Wohnungen würden auch als Arbeitsplätze genützt. Je mehr sich die Stadt gegen den Woh nungsbau und gegen Neuüberbauungen wehre, desto mehr werde die Agglomeration wachsen und um so grösser würden die Pendlerströme. Auch die Auslagerung von Wirtschaftsstandorten in die Agglomeration bringe zusätzlichen Verkehr mit sich. In der Stadt brauche es zudem mehr kleine Wohnungen, stellte Strahm fest. In den grossen Kernstädten Bern, Basel und Zürich seien schon heute rund die Hälfte aller Haushalte Einpersonenhaushalte. Dieser Trend könne wirtschaftlich kaum gesteuert werden. Die Wohnsituation und das Angebot an preisgünstigen Wohnungen sei übrigens auch eine der wichtigsten Determinanten für die neue Armut in den Städten. Seit 1990 hätten die Mietpreise in der Schweiz um 30 Prozent zugenommen. Wie die Basler Armutsstudie zeige, habe über ein Drittel der Basler Haushalte Bruttomieten, die mehr als ein Viertel des Nettoeinkommens ausmachten. Die Stadt tue gut daran, den sozialen Wohnungsbau zu fördern, um eine Abfederungsreserve für die zukünftige gesellschaftliche Entwicklung zu schaffen.

Bevölkerung am Umbau beteiligen

Der Berliner Architekt und Stadtökologe Ekhart Hahn, der den Begriff des ökologischen Stadtumbaus geprägt und dazu Handlungskonzepte entwickelt hat, kritisierte, dass die bisherige städtische Umweltpolitik im wesentlichen an den Erscheinungsformen der Umweltprobleme statt an deren Ursachen angesetzt habe. Schwerpunkt sei der technische Umweltschutz gewesen während man die ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen der antiökologischen Entwicklung kaum beachtet habe. Die unbefriedigenden Erfolge der bisherigen städtischen Umweltpolitik, meinte Ekhart Hahn weiter, seien auch auf die ungenügende Beteiligung oder gar Ausgrenzung der Bewohnerinnen und Bewohner zurückzuführen. Die Umweltprobleme könnten nicht von der Stadtverwaltung allein, sondern nur in gemeinsamer Anstrengung der gesamten Bevölkerung gelöst werden. In der Diskussion am Schluss des Symposiums wurde bestätigt, dass ein Prozess der Stadterneuerung am ehesten dann in Gang kommen könne, wenn kleine Bürgergruppen in ihrem engeren Lebensbereiche konkrete Veränderungen bewirkten. Ökologische Planung müsse auch die Bereitschaft beinhalten, den Leuten Freiräume zur eigenen Gestaltung ihrer Umgebung zu gewähren.


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