kulturpunkt

Berner Landschaftsweg


BUNDARTIKEL

DER BUND Samstag, 29. April 1995

Landschaftsweg / Die Landschaft am Stadtrand entdecken - Ein Beitrag des Ökozentrums Bern zum europäischen Naturschutzjahr

Auf dem Berner Landschaftsweg die Stadt umrunden und den fortschreitenden Landschaftswandel erkunden

Für Neugierige und für Wissbegierige, für Unternehmungslustige und für Wanderfreudige, für Berner Stadt- und Landbewohner - für sie alle gibt es nun eine neue Möglichkeit, alte, scheinbar vertraute Wege zu beschreiten: auf dem vom Ökozentrum Bern initiierten 50 km langen Berner Landschaftsweg, der um die Stadt Bern herumführt und elf Gemeinden tangiert.

Walter Däpp, Redaktor

Der Berner Landschaftsweg, untertreiben Claude Haltmeyer und Reto Camenzind vom Ökozentrum Bern, sei «nur ein Angebot mehr nicht»: Ein Versuch, der Stadt und Agglomerationsbevölkerung ihren eigenen Lebensraum vor Augen zu führen, sie für landschaftliche Schönheiten und auch für negative Auswirkungen menschlicher Eingriffe zu sensibilisieren.

Der Berner Landschaftsweg, der auf dem bestehenden Weg und Strassennetz durch die elf Gemeinden Bern, Bolligen, Bremgarten, Frauenkappelen, Ittigen, Kirchlindach, Köniz, Muri, Ostermundigen, Wohlen und Zollikofen führt und diskret mit braunen Tafeln markiert ist, soll «im europäischen Naturschutzjahr das Bewusstsein über den fortschreitenden Landschaftswandel am Stadtrand fördern und konkrete Landschaftsaufwertungen bewirken».

Auch der «Raum dazwischen»

Der Berner Landschaftsweg sei nicht darauf angelegt, eine makellose, intakte Landschaft vorzugaukeln. «Er führt nicht nur durch die sogenannt schönen Gebiete», sagt der Biologe, Raumplaner und Landschaftsweg Projektleiter Reto Camenzind, «er führt auch durch den Raum dazwischen. Er soll nicht nur Bilderbuchlandschaften vor Augen führen, sondern den gesamten Raum, in dem wir leben samt Überbauungen, Strassen, Verkehr. Aber er soll auch zeigen, wie beeinträchtigte Landschaften aufgewertet werden können, beispielsweise durch das Wiederbeleben von begradigten Bächen, durch das Anpflanzen von Hecken, durch das Erstellen von Biotopen oder naturnahen Grünanlagen in Siedlungsgebieten.»

Und vor allem soll der Berner Landschaftsweg auch bewusstmachen, dass das Siedlungsgebiet der Stadt und Agglomeration Bern nicht an irgendwelchen Stadt oder Gemeindegrenzen aufhört, sondern nahtlos von einer Gemeinde in die andere übergeht. «Es geht auch darum», sagt Claude Haltmeyer, «den Zäme Bärn Gedanken wieder ein bisschen aufleben zu lassen, das regionale Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken. Wer den Landschaftsweg beschreitet, der staunt, wie schnell er immer wieder in einer andern Gemeinde ist.»

Wer den Berner Landschaftsweg unter die Füsse oder unter die Veloräder nehmen will, darf sich nicht auf die (spärliche) Beschilderung verlassen: An wichtigen Weggabelungen und Kreuzungen bestätigen braune Tafeln zwar, dass man noch «auf dem rechten Weg» ist, doch ohne Landeskarte oder ohne die in der Gratis-Broschüre enthaltenen Informationen wäre die Route unterwegs nicht auszumachen. Und sie würde ohne die wegbegleitenden Informationen auch weniger Sinn und weniger Spass machen. Reto Camenzind der die Idee für das Ökozentrum Bern realisiert und den Landschaftsweg phantasievoll konzipiert hat, ist selber von der Vielgestaltigkeit der Landschaft rund um Bern fasziniert. «Innerhalb weniger Minuten», betont er, «kann sich diese Landschaft wie ein Gewitter über einem entladen. Es gibt unendlich viele Eindrücke und Geschichten auf diesem Weg. Deshalb ist es empfehlenswert, sich genügend Zeit zu nehmen.» Um die gesamte 50 km Strecke zu erwandern, benötigt man, laut Camenzind, «gut vier Tage oder auch mehr, wenn man da oder dort noch ein bisschen verweilen möchte».

Orte zum Verweilen ...

Verweilmöglichkeiten und Freizeitangebote unterwegs gibt es viele (auch darüber informiert die Broschüre): zum Beispiel Bademöglichkeiten an der Aare, Bootsvermietungen am Wohlensee, den Tierpark Dählhölzli, Campingplätze, kulturelle Veranstaltungen zum Beispiel in der Dampfzentrale oder im Gaskessel, mehrere Naturlehrpfade.

Und unterwegs gibt es 87 Orte, die in der Broschüre näher erläutert sind: das Gaswerkareal zum Beispiel oder die Elfenau, den Plattacher in Muri oder die Grosshaussiedlung Wittigkofen, den Lötschenbach in Ostermundigen oder das Lutertal in Bolligen, den Kappelisacker in Ittigen oder die Steinibachmatte in Zollikofen, die Stucki Quellen in Bremgarten oder die Stegmatt in Wohlen, den Riederenhubel oder das Gäbelbachtal, das Bottigenmoos oder den Könizer Chüeschatte.

... und hässliche Bauten

«Der Berner Landschaftsweg spiegelt keine Idylle vor», steht in der Gratis-Broschüre, «sondern bringt auch das Alltägliche der Landschaft näher: begradigte Bäche, breite Strassen, bedrohte Weiher, einsame Gehölze, zerschnittene Täler und hässliche Bauten. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich das Siedlungsgebiet der Stadt Bern enorm ausgedehnt, und die Intensivierung der Landwirtschaft hat zu einem rasanten Landschaftswandel geführt. Diese Gegensätze sind Teil des Berner Landschaftsweges und fordern zum Nachdenken auf. Wer mit offenen Augen unterwegs ist, kann diesen Wandel der Landschaft gut erkennen.»

Und da Erkennen auch Verstehen, Verstehen auch Verändern heissen kann, erhoffen sich Claude Haltmeyer und Reto Camenzind da und dort auch direkte Auswirkungen des Berner Landschaftsweges auf die künftige Siedlungsentwicklung, denn: «Die Landschaftsentwicklung wäre anders vor sich gegangen, wenn man die Landschaft anders gesehen und anders empfunden hätte.»

«Ein kleines Angebot»

In diesem Sinn soll der Berner Landschaftsweg ein animierender und durchaus wohl auch ein bisschen ein alarmierender Fingerzeig sein ein «kleines Angebot eben mehr nicht».

 

NB: Der Berner Landschaftsweg wird leider seit der Auflösung der Stiftung Ökozentrum Bern (2002) nicht mehr weiter gepflegt und betreut.


----------------
top ]  [ sitemap ]

last update 14-12-14